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„Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt“

18.12.2023

Im Rahmen einer Reportagereise konnte ich eines der wichtigsten Feste Mexikos (Fiesta de los Muertos - das Fest der Toten) miterleben. An Allerheiligen und Allerseelen gedenken die Menschen ihrer verstorbenen Angehörigen und Freunde. Was in der hiesigen Kultur in der Adventszeit und vor allem an Heiligabend für die lebenden Familienmitglieder als Ausdruck der Liebe, der Zusammengehörigkeit und der Stärkung der Familienbande gepflegt wird, findet in der Fiesta de los Muertos seinen Ausdruck, wo sich Himmel und Erde begegnen, wenn sich die Lebenden Zeit für die Toten nehmen und ihrer gedenken.

Pater Samuel Mgbecheta, CSSp

Pater Samuel Mgbecheta, CSSp

Seit über 50 Jahren sind die Spiritaner in diesem lateinamerikanischen Land tätig. Gegründet von drei Mitbrüdern, zweien aus den USA und einem aus Irland, die aus Peru vertrieben worden sind, arbeiten heute 15 Mitbrüder aus sechs Ländern in Mexiko, darunter fünf Einheimische. Die Spiritaner wirken vor allem unter der indigenen Bevölkerung, haben aber auch Niederlassungen und Engagements in Großstädten wie Mexiko City sowie in Tampico und Cuernavaca.

Die Pfarrei St. Johannes der Täufer in Coxcatlán ist eine der ersten Missionsstationen der Spiritaner unter den Indios in Mexiko. Die Bewohner von Coxcatlán sind ein Agrarvolk, das von der Landwirtschaft lebt. Darüber hinaus verdienen die meisten ihren Lebensunterhalt als ungelernte Arbeitskräfte. Obwohl ihre wirtschaftliche Situation eher schlecht ist und es ihnen an vielen materiellen Dingen fehlt, „sind die Menschen sehr freundlich, großzügig, offen und bereit, sowohl ihre Zeit als auch ihre materiellen Güter zu teilen“, sagt der Pfarrer der Gemeinde, Pater Victor Martinez Martinez, mit großer Dankbarkeit. Zu seiner Pfarrei gehören 37 Außenstationen, die er mit Unterstützung vieler engagierter Christen betreut. Sie sind für ihn „wie das Herz der Pfarrei. An ihnen hängt alles. Sie bewegen praktisch alles“.

Dir Pfarrkirche St. Johannes der Täufer Coxcatlán

Dir Pfarrkirche St. Johannes der Täufer Coxcatlán

Eine lebendige und fröhliche Feier

Auf Einladung des Pfarrers begleitete mich Pater Fidelis Okafor, Ordensoberer der Spiritaner in Mexiko, am letzten Oktobersonntag in diese Gemeinde, um mir ein Bild davon zu geben, wie das Fest der Toten in seiner Pfarrei gefeiert wird. Nach einer vierstündigen Fahrt (von Tampico im Nordosten Mexikos) kamen wir in Coxcatlán an, einer Kommune im Bundesstaat San Luis Potosí im Nordmittelmexiko. Da es Sonntag war, verlief die Reise reibungslos. Ich ging in die Kirche. Sie war prächtig mit Cempasúchil, Flor de Muertos, also Totenblumen, geschmückt, vor allem der Altarraum. Die Messe begann pünktlich um 10 Uhr und war von Gläubigen aller Altersgruppen gut besucht. Jung und Alt waren vertreten. Die Kinder, die sich auf die Erstkommunion vorbereiten, nahmen nach der Messe um 8 Uhr am Katechismusunterricht im Pfarrsaal teil. Eine Jugendgruppe begleitete die Messfeier musikalisch, die über eine Stunde dauerte. Aber niemand schaute auf die Uhr, denn es war eine lebendige und fröhliche Feier. Pater Okafor, der der Messe vorstand, predigte frei und versuchte, die Teilnehmer in die Liturgie einzubeziehen. Alle Anwesenden nahmen aktiv teil. Nach der Messe nahm ich mir Zeit für ein Gespräch mit einigen Gemeindemitgliedern und dem Pfarrer; am Nachmittag besuchten wir zwei Familien und feierten mit ihnen.

Pater Fidelis Okafor am Altar und neben ihm ist Pater Victor Martinez Martinez

Ein farbenfrohes Volksfest

Die „Fiesta de los Muertos“ ist keine Trauerveranstaltung, sondern ein farbenfrohes Volksfest. Dabei gedenken die Menschen ihrer verstorbenen Angehörigen und Freunde. Man glaubt, dass die Seelen der Verstorbenen an Allerheiligen und Allerseelen zu ihren Familien zurückkehren, um sie zu besuchen, und feiern mit ihnen ein fröhliches Fest des Wiedersehens. Die Ursprünge dieses Festes gehen auf jahrtausendealte indigene Kulturen zurück – lange vor der Ankunft der spanischen Kolonialherren – die vor allem von den Azteken bzw. Mexica beeinflusst wurden. „Für die Ureinwohner der Region, die heute territorial zum mexikanischen Staatsgebiet gehört, war der Tod eine natürliche und verlängerte Phase des Lebens, in der die Seele einen neuen Lebensabschnitt beginnt, wenn der Körper stirbt. Es war daher weniger üblich, um die Toten zu trauern, denn [sie] galten noch immer als Teil der Gemeinschaft und wurden im Geiste und in Erinnerungen [lebendig] gehalten. Am Tag der Toten kehrten sie sogar für eine Weile auf die Erde zurück“, erklärt Justine Taranow, Projektreferentin in der Missionszentrale der Franziskaner, die auch für die Hilfsprojekte des Ordens in Mexiko zuständig ist.

Ab Mitte Oktober beginnen die Vorbereitungen für das Fest der Toten. Bunte Kostüme, Masken und Figuren wie Totenschädel sind in den Dörfern und Städten Mexikos zu sehen, karnevalsähnliche Umzüge und Feiern werden organisiert, es wird gesungen und getanzt. An den Marktständen werden verzierte Totenschädel aus Zucker oder Schokolade verkauft, frisch geschnittene Totenblumen säumen die Schaufenster der Blumenläden, und Familien bereiten einen Totenaltar vor, auf den die „Ofrenda“ gestellt wird. Solche farbenfrohen Altäre werden in den Familien, in den Kirchengemeinden, an öffentlichen Orten (Schulen, Krankenhäusern, Freizeitparks usw.) und auf den Friedhöfen aufgestellt, z.B. auf den Gräbern der verstorbenen Familienmitglieder. Die Hinterbliebenen drücken damit ihre Liebe zu ihren Verstorbenen aus und würdigen deren vollendetes Leben.

Auf den Altären befinden sich oft kleine Totenschädel aus Zucker oder Schokolade sowie ein „Pan de Muerto“, das Brot der Toten – ein traditionelles mexikanisches Gebäck – und die Lieblingsspeise oder das Lieblingsgetränk der Verstorbenen. Dazu gehören auch Lieblingsgegenstände, religiöse Statuen insbesondere die der Jungfrau von Guadalupe, Kreuze, Rosenkränze sowie Weihrauch und Kerzen. Nicht zu vergessen ist ein Glas Wasser, um den Durst der zurückkehrenden Toten nach einer langen Reise zu stillen. Auf den Altären für die Kinder liegen manchmal Spielsachen und Obst aus der Region – Orangen, Mandarinen, Bananen oder Guaven.

Ein Altar am Benito Juárez-Flughafen in Mexico City

Ein Altar am Benito Juárez-Flughafen in Mexico City

Ein Altar in der Spiritanerkommunität in Tampico

Ein Altar in der Spiritanerkommunität in Tampico

Die Lebenden nehmen sich Zeit für ihre Toten

In seiner heutigen Form enthält das Fest Riten aus den prähispanischen und katholischen Traditionen und wird jedes Jahr vom 31. Oktober bis zum 2. November gefeiert. Nach dem Volksglauben öffnen sich am 31. Oktober um Mitternacht die Himmelspforten, damit die Seelen der Kinder zu ihren Familien zurückkehren können. Die Seelen der Erwachsenen hingegen besuchen ihre Familien am 2. November. An diesen beiden Tagen wird ihrer in besonderer Weise gedacht. An Allerseelen besuchen viele Menschen die Friedhöfe, um Blumen, Kerzen und andere Gaben auf die Gräber ihrer Angehörigen zu legen. Mancherorts gehen die Familien mit (einem) Festessen, das sie dort gemeinsam einnehmen und erinnern sich dabei an einige schöne Momente aus dem Leben der Verstorbenen. Es wird Huapango-Musik gespielt und getanzt - ein Musikstil, der auf die Mestizen-Kultur des 17. Jahrhunderts in Mexiko zurückgeht. Gegen Abend verabschieden sie sich von ihren Toten, die um Mitternacht ihre Reise ins Jenseits antreten.

 

Karnevalsähnliche Umzüge anlässlich des Festes der Toten

Karnevalsähnliche Umzüge anlässlich des Festes der Toten. In der Mitte das Bild „Unserer Lieben Frau von Guadalupe“. Sie stehen auf dem Vorplatz der Basilika „Unserer Lieben Frau von Guadalupe“.

Eine andere Art, mit Toten umzugehen

So wie in der Adventszeit Weihnachtsbäume mit Lichterketten unsere Straßen und Häuser erhellen, so schmücken zur Fiesta de los Muertos Altäre mit verschiedenen Gegenständen und Geschenken für die Toten die Straßen und Häuser Mexikos. Was in der hiesigen Kultur in der Adventszeit und vor allem an Heiligabend für die lebenden Familienmitglieder als Ausdruck der Liebe, der Zusammengehörigkeit und der Stärkung der Familienbande gepflegt wird, findet in der Fiesta de los Muertos seinen Ausdruck, wo sich Himmel und Erde begegnen, wenn sich die Lebenden Zeit für die Toten nehmen und ihrer gedenken.

Um die herausragende Bedeutung dieses Festes zu unterstreichen, hat die UNESCO diese Tradition im Jahr 2003 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Das Fest vermittelt eine andere Wahrnehmung und einen anderen Umgang mit dem Tod. Die Tatsache, dass es jedes Jahr gefeiert wird, kann das Gefühl der Verunsicherung und der Trauer, das mit dem Tod verbunden ist, zwar nicht vollständig beseitigen, aber es kann das Bewusstsein schärfen und dazu beitragen, dass die Menschen entspannter ihren Aktivitäten nachgehen, anstatt von der Angst vor dem Tod oder der Trauer um ihre lieben Verstorbenen gelähmt zu werden. Insofern hat der deutsche Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht Recht, wenn er sagt: „Der Mensch ist erst dann wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“

Mexiko ist ein Land mit einer Vielzahl von Kulturen und Traditionen, was bedeutet, dass die Art und Weise, wie dieses Fest gefeiert wird, von Region zu Region unterschiedlich ist. Dennoch bietet „El Día de los Muertos“ eine einzigartige Gelegenheit, die Wahrnehmung des Todes bei den Mexikanern und ihre Beziehung zu den Toten besser zu verstehen. 

Autor: Pater Samuel Mgbecheta, CSSp

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